:: AKTION SORGENKIND ::
nach Motiven aus dem Märchen
:: Das kalte Herz ::
von Wilhelm Hauff
Es spielen: Ursula Renneke, Ines Hartung und ein Fernseher
Text: Bernhard Dechant, Ines Hartung, Ursula Renneke
Regie: Bernhard Dechant
Bühne und Kostüm: Gwendolyn Bahr
Herzhandwerker: Norbert Schliewe, Michl Schmidt, Robert Gärtner
Musik: Tommy Neuwirth
Video: Jens Distl, Mathew Gottschalk
Regieassistenz: Romy Czimmernings
Produktionsleitung: Nele Ana Riepl
Eine Koproduktion der Akademie Schloss Solitude, des Badischen Staatstheaters, des Theaterhauses Jena und Jenakultur
Vorpremiere 26.03.2010 :: AKTIONSORGENKIND ::
Schloß Solitude
Premiere 07.04.2010 :: AKTIONSORGENKIND ::
Theaterhaus Jena
|
|
Frau Munk hat sich weggeschlossen. Weggeschlossen aus einer kranken Welt, deren Gesellschaft
nach einem Jahrzehnt der Schande und des Völkermords nichts gelernt hat und weiterhin sich
selbst und alles andere zerstört. Ihre selbstgewählte Widerstandsisolation wird durch ihre
zu 100% behinderte Heimhilfe durchbrochen.
Für mich ist es der Versuch, einen heutigen Peter Munk zu zeigen: umgeben und durchdrungen vom Neid,
von der Eifersucht und der Missgunst einer Gesellschaft, deren Koordinaten nur noch auf Zentrum oder
Rand verweisen. Sein höchster Wunsch ist es, Teil dieser Gesellschaft zu sein, in der Hoffnung, als
Mittelpunkt dieser Gesellschaft nicht mehr leiden zu müssen.
Es zeigt auf, weshalb Menschen ihr lebendiges pochendes Herz gegen ein kaltes
steinernes eintauschen, sobald das Versprechen, in der Mitte der Gesellschaft ihren Platz zu finden
greifbar wird.
Es ist aber auch der Versuch, einen Ausweg zu finden. Raus aus dem Zentrum, aber nicht an den Rand.
Die Suche nach einer Möglichkeit gelebten Glücks.
:: Dieses Stück ist persönlich. Man kann es als solches kritisieren
man muss es als solches kritisieren. Doch die Menschen, die es gesehen haben, die die dabei waren,
werden wissen, dass es echt war, sie werden wissen, dass die Dinge die in diesem Stück angesprochen werden,
wirklich existieren. Sie werden ihre Unschuld verlieren. Sie werden sich nicht mehr hinter ihrer Unwissenheit verstecken können.
Sie werden dieses Stück nicht vergessen.
Dieses Stück ist ein Bollwerk, es ist eine politische Aussage.
Es ist ein direkter Aufruf.
Es ist ein Hilfeschrei.
Der Anspruch an diese Zeilen ist kein geringerer als die Welt zu retten.
Der Anspruch, den wir an die Menschen haben, welche diese Zeilen gehört haben, ist, dass sie die Welt retten.
Die, welche diese Zeilen gehört haben werden sich unweigerlich und unwiderruflich verändern.
Sie sind in die Pflicht genommen.
Dieses Stück ist ein von uns allen fertig zustellendes Manifest.
Dieses Stück lässt sich nicht kaufen,
es lässt sich unterstützen, es lässt sich helfen,
aber es lässt sich nicht kaufen
und es will niemanden kaufen.
Wir wollen nicht mehr gezwungen sein zu kaufen und gekauft zu werden.
Dieses Stück ist eine Warnung,
dieses Stück ist eine Bitte,
die Bitte nicht radikal werden zu müssen,
wir wollen nicht radikal werden,
lassen sie uns nicht radikal werden,
bitte ::.
PRESSE_:
Revolte ja, aber nicht da draußen: "Aktion Sorgenkind" in Jena
"Der Mensch muss doch was tun": Für Inès (Ines Hartung, vorn) ist die Lebensaufgabe eindeutig.
Frau Munk (Ursula Renneke) aber lähmt eine durch und durch kranke Welt.
Sozialkritik und Märchen verbindet die neue Inszenierung für zwei Personen im Theaterhaus Jena ,
bei der Bernhard Dechant Regie führte.
In dem pochenden Herz stecken Messer und Gabel. Damit schnitzt Frau Munk an der blutroten
Innerei herum und schiebt sich einzelne Scheibchen in den Mund. Mampft, schluckt, trinkt, beißt
ab, kaut, erzählt. Natürlich ist das Herz auf der Silberplatte viel zu groß, um ein menschliches
zu sein. Doch der Muskel aus Gelatine (Herzhandwerker: Norbert Schliewe, Michl Schmidt) knautscht
sich überzeugend genug zusammen, dass im Publikum irritierte Stille herrscht. Ein bisschen eklig
ist die Sache dann doch.
Die da jetzt ihr eigenes Herz verdaut, hat eben noch dem System die Stirn geboten. Da war sie
bedingungslos kämpferisch, nun ist Frau Munk systemgerecht angepasst und profitorientiert.
Regisseur Bernhard Dechant rechnet in seiner Inszenierung für das Theaterhaus Jena mit
Möchtegernrevolutionären und Finanzhaien gleichermaßen ab. Hauffs Märchen vom kalten Herz
dient ihm als Vorlage, was ein gewöhnungsbedürftiger, aber spannender Ansatz und stimmig
umgesetzt ist. "Aktion Sorgenkind" verschmilzt Sozialkritik und Märchen: Peter Munks weibliches
Pendant, Glasmännlein und Holländer-Michel müssen sich in einer Welt des Guten und Bösen
behaupten - nur siegt hier keine der beiden Seiten.
Eine Sozialkritik, getarnt als Märchen
Das gutherzige Glasmännlein ist die Heimhilfe Inès, die ein Loch in Frau Munks Widerstandsisolation reißt:
Diese boykottiert das System, wird als 100-prozentig behindert eingestuft und verlässt nie ihre Heimwohnung.
Während sie, körperlich kerngesund, nichts weiter tut als die Verhältnisse anzuprangern, putzt die tatsächlich
behinderte Inès die fremde Wohnung. Dennoch will sie Frau Munk drei Wünsche erfüllen.
Ines Hartung spielt Inès als pragmatische Heimhilfe, und wenn sie spricht, hört man sehr wohl,
dass sie aus Jena kommt. Ebenso nimmt man als Zuschauer ihre Behinderung wahr, die weder in den
Vordergrund gedrängt noch verdeckt wird. Hartung spielt ganz unbefangen, ganz einfach, und schafft
so einen eigentümlich klaren Gegenpol zu Ursula Rennekes vergeistigtem "Sorgenkind" Frau Munk.
Denn so sehr man ihrer Kritik auch zustimmt, an Konsumwahnsinn und einer Gesellschaft, die nur
scharf auf die nächste Ablenkung ist, sie führt einem vor Augen: Es sind leere Phrasen, so lange
man sie für sich behält.
Kann man also, fragt die Inszenierung fast ketzerisch, als Teil des Systems mehr für sich tun?
Einer eindeutigen Antwort verweigert sich der Theaterabend und belässt es dabei, Gedankenexperiment
zu sein. Eine mögliche Lösung: Sich anpassen, indem man die eigenen Ideale in den Wind schießt.
Frau Munk hilft dabei der Holländer-Michel, den Ursula Renneke noch intensiver verkörpert: verlockend,
bedrohlich, kalkuliert. Er entsteigt dem Fernseher, nimmt Frau Munks Herz. Doch statt es wie im
Märchen zu versteinern, serviert er es ihr auf dem Silbertablett. Als sie es verspeist, widerlegt
sie plausibel genau das, wogegen sie zuvor rebelliert hatte.
Franziska Nössig / 08.04.10 / TLZ
STEP_PIC_:
PROBENAUSZÜGE_:
|
|