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:: Kaltblütig ::
nach Truman Capote


zur Spielzeiteröffnung

Rolle: Perry Smith

Darsteller: Bernhard Dechant, Tim Ehlert, Daniel Fries, Sophie Hottinger, Ursula Renneke, Andrea Schmid, Mathis Julian Schulze und Saskia Taeger

Regie: Markus Heinzelmann

Premiere: 28.10.2004
Theaterhaus Jena


:: Ostwildwest ::

Theater der Zeit, Januar 2005, Dirk Pilz

Das Theaterhaus Jena unter der neuen Leitung von Markus Heinzelmann und Marcel Klett

Helga ruckt die Schürze zurecht und brät Spiegeleier. "Jemand Lust auf Eier?" Zwei schüchterne Meldungen aus dem Publikum, die Eier gehen an den Herrn in Reihe drei. Dazu ein kräftiger Schnaps, und aus dem Off spricht eine sonore Stimme: "Ich hatte den Ratschlag ernst genommen: Nach Westen, immer nach Westen. Dort findest du Glück." Helga ist dem Ruf gefolgt und einigermaßen desillusioniert im Westen angekommen. Glück? Der Westen ist weit, das Glück ein uneinholbares Versprechen. Wer verstünde das Glück? Helga saugt den Teppich, raunzt Angie Joe, die eierkonsumierende Cowboybraut, an, schimpft auf Gott und die Welt - und der Zuschauer weiß nicht, was das alles soll. Denn Helga ist weder Frau noch Figur, sondern der Schauspieler Stefan Hufschmidt beim Saugen, Schimpfen und Eierbraten. Er spielt nichts, außer sein anderes Ich, das Helga-Ich. Sicher, Helga-Stefan steht auf einer Bühne, und wir schauen zu; man weiß natürlich, dass die da vorn etwas spielen und bedeuten wollen. Aber was dort gesprochen, gespielt und bedeutet wird, ist in seiner Banalität und Alltäglichkeit dem Leben zum Verwechseln ähnlich. Dass Helga eigentlich Stefan oder Stefan eigentlich Helga ist, unterstreicht nur, was wir ohnehin ständig erfahren: Es gibt noch immer kein richtiges Leben im falschen. Es ist alles falsch und richtig zugleich. Jedes Für ein Wider. Wer hier an Deutschland denkt, liegt richtig: Helga ist wie Stefan ein Vertreter Deutschlands in der Ablösungskrise. Helga-Stefan kämpft sich durch unsere neoglobalisierte West(ern)-Welt, deren wichtigste Lektion sie oder er inzwischen begriffen hat: Nur wer sich anpasst, überlebt. Anpassen bedeutet Abschiednehmen, am Ende sogar vom Eierbraten.

"Rucken 04" nennt sich dieser Abend von Dirk Cieslak, der wirklich alles zur Debatte stellt. Inhaltlich wie ästhetisch. Auf der beinahe leeren Bühne mit Kellerklappe im grünen Boden geistern fünf Menschen durch die Diskurslandschaft der Jetztzeit und spielen mit verschlagener Nüchternheit die großen und kleinen Deutschlandprobleme durch. Wer liebt mich? Wer zahlt meine Rente? Wer brät mir die Eier? Und über alledem thront die Eine-Million-Frage: Ist das Projekt Deutschland noch zu retten? Man weiß das nach den gut zwei Stunden Quasi-Theater weniger als zuvor. Denn dem Projekt Deutschland mangelt es nicht an Lösungsvorschlägen. Im Gegenteil. Andrea Schmid und Sophie Hottinger werfen als Sister 1 und 2 im scharf geschnittenen grauen Einteiler unzählige Vorschläge in die Runde. Aber keiner vermag, zwischen den Anregungen zu wählen. Das Überangebot schlägt in Bewegungsstarre um: Wo alles auch anders möglich ist, geht nichts mehr.

Davon wussten bereits frühere Cieslak-Inszenierungen zu erzählen. In "Pudelträume" oder "Heimatspiele: bin ich hier richtig?" wurde die Ausweglosigkeit allerdings noch im Taktwechsel zwischen Slapstick und Tragödie zu versöhnlerischer Ironie aufbereitet. Jetzt arbeitet Cieslak ernsthaft an der Auflösung seines Berufsfeldes: Der Regisseur setzt keine Schauspieler mehr in Szene, er lässt sie als Autoren ihrer eigenen Figuren gewähren; die Darsteller bestimmen hier mehr den Regisseur als umgekehrt. Das könnte man die radikale Demokratisierung des Theaters nennen. Denn so viel Freiraum und Verantwortung bekommen Schauspieler (und Zuschauer) selten zugemutet: Jeder strickt sich seine Geschichte, die nicht selten tatsächlich die eigene zu sein scheint. Entsprechend autistisch und disparat, aber auch unerhört intim und schutzlos ist ihr Erscheinungsbild. Cieslak schiebt damit die Grenze des im Theater Eben-noch-Möglichen immer weiter hinaus: Das Bühnengeschehen gehorcht einer Eigenlogik, die ohne inszenatorische Eingriffe auszukommen scheint. Regiekunst als Kunst des Weglassens, der Regisseur als Akteur des Verschwindens. Will heißen: Dieser Theaterabend arbeitet an seiner Selbstauflösung. Eierbraten ist hier tatsächlich nicht mehr als Eierbraten auf der Bühne. Bei Castorf war es in "Endstation Amerika" einst das duftende Symbol für den reinen, hochkarätigen Unsinn des Daseins. In "Rucken 04" ist es eine Bühnenhandlung, die weder etwas darstellt noch vorführt, auch nichts demonstriert, sondern ausstellt: Theater als Handlungs- und Gedankenausstellung, als eine fragile Installation, die sich ein Stück Wirklichkeit aus der Welt schneidet und als gleichzeitig über- und unterbestimmtes Zeichen auf die Bühne verpflanzt. Die Bühnenmontage verzichtet auf jedwede Handlungslinien und Figurenpsychologien und ist dennoch keine mit Selbstreflexivität aufgeladene Performance. Eher bedient sich "Rucken 04" der Readymade-Strategie, im Verdoppeln der Realität diese selbst zur Kunst zu erklären. Was gehört auf welche Seite? Ursula Rennecke schaut einmal mit ihren großen Augen ins Publikum und spricht im Namen der von ihr ausgestellten Figur Regula: "Ich bin eine Frau in der Blüte ihrer Empfängnisbereitschaft." Das ist ein wahrer Satz. Über Regula und über Ursula Rennecke.

Solcherlei Versuche, das Leben der Kunst anzunähern, waren einmal das privilegierte Projekt der Avantgarde. "Rucken 04" ist im Grunde ein Erinnerungsversuch an diesen ursprünglichen Impuls der Moderne: Der Abend bricht mit fast allen ästhetischen Vertraulichkeiten und sucht den Nullpunkt. Am Ende heißt es: "Kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht sollten wir mal ganz neu von vorne anfangen, alles mal ganz anders machen." Dirk Cieslak gibt darauf eine klare Antwort: Wir sollten. Man muss riskieren, alles zu verlieren, nichts auszusparen und grundsätzlich vorzugehen, wenn man etwas finden will.

Wer mit einer derart herausfordernden Arbeit eine Spielzeit eröffnet, muss Großes vorhaben. Regisseur Markus Heinzelmann und der Dramaturg Marcel Klett, die seit dieser Saison die Leitung des Theaterhauses Jena von Claudia Bauer übernommen haben, drucken entsprechend Großes ins Programm. "Willkommen im Wilden Westen!" ist das Spielzeitmotto, das sich ausdrücklich als politische Botschaft versteht. Denn Westen, das ist einstweilen (fast) ganz Europa: "Der Westen als Gesellschaftssystem hat offensichtlich gesiegt." Was heißt das eigentlich? Nicht, dass sein muss, was ist, sagen sie in Jena. Westen ginge auch anders. Aber: "Veränderungen erfordern Mut und Visionen!" Es soll um die "Suche nach dem Politischen am Theater" gehen, es brauche einen "Wettstreit der besten Ideen, Vielfalt der kulturellen und gesellschaftlichen Äußerungen". Dass es dafür auch das Theater braucht, wird in den kommenden Jahren zu beweisen sein. "Rucken 04" ist immerhin ein Anfang: Die Inszenierung (?) recherchiert in der Gegenwart und findet Gründe genug, an allem zu zweifeln.

Die zweite Arbeit zur Eröffnung sucht das Heute dagegen in den USA am Ende der 50er-Jahre: "Kaltblütig", eine Dokumentation von Heinzelmann und Klett. Das Publikum sitzt in einem dreistöckigen, mitunter bedrohlich schwankenden Gerüst rings um die kleine Drehbühne und verfolgt in vierzig Szenen die Rekonstruktion eines Kapitalverbrechens. Die nackten Fakten stehen fest: Ein Gangsterduo hat in einem stillen Kaff alle Mitglieder der Farmerfamilie Clutter ermordet. Der Hergang der Tat aber, die Hintergründe des Verbrechens, die Verfolgung der flüchtigen Mörder, die gesellschaftlichen Auswirkungen - das alles wird dem Zuschauer scheibchenweise in "The Clutter Family Murders - Das Familienquiz" vermittelt. Zwei adrette Damen stellen die ermittlungsrelevanten Fragen, die Rategemeinschaft entspricht den historischen Figuren, so dass die Mörder mit ihren Opfern also um die Wette rätseln. Man könnte meinen, "Kaltblütig" ist eine etwas flache Kritik an der Schamlosigkeit, alles in ein TV-Event zu verwandeln - und träfe damit nur die halbe Wahrheit. Denn aus dem zynischen Quiz wird bitterer Ernst. Unvermittelt verwandeln sich die Quizteilnehmer in die Protagonisten des Verbrechens und spielen also, was sie zu erraten haben. Sie beklettern das Gerüst, werden gefilmt, backen Kuchen, sehen fern, werden von den Mördern überrascht oder überraschen als Mörder und lassen keinen Winkel als Spielfläche aus. Das Theater ist über, unter und hinter einem, es spielt auf der Leinwand, in verschlossenen Räumen und rückt dem Zuschauer zusehends auf den Leib. Wird dann die nächste Quizrunde eröffnet, hat sich der Status des Publikums längst verändert: Es ist zum Mitwisser geworden, das Hinsehen verliert seine Unschuldigkeit. Der Zuschauer als embedded spectator: auch das eine Möglichkeit, die feine Trennlinie zwischen Bühne und Publikum aufzurauen. Und weil die Dramaturgie von großen Brüchen und Fallhöhen lebt, die Darsteller mal einnehmend hübsch singen ("In der Mitte der Nacht / liegt der Anfang eines neuen Tages"), dann wieder hyperrealistisch das Geschehen nachstellen und immer auf der Kante zwischen Faktizität und Fiktion kippeln, entsteht ein Drama der Wahrnehmung, das alle festen Kategorien zerfließen lässt. In "Kaltblütig" wird uns eine Welt gezeigt, die schon vor dem Weltdatum 2001-09-11 war, wie sie angeblich erst danach ist: unberechenbar. Das Quiz- und Recherchespiel als Musterfall einer Gesellschaft, in der nichts und niemand mehr sicher ist. "Kaltblütig" gibt sich als eine Art kriminalistisches Theater zu erkennen, das die Bedingungen der Möglichkeit von Veränderung untersuchen will.

Die Jenenser Hausphilosophie ist in der Tat sehr anspruchsvoll. Und kennt viele Formen. Zum Saisonstart wurden neben den beiden Hauptinszenierungen drei kleine Monologe an drei kleinen Spielstätten gezeigt; sie alle auf der Suche nach Wegen, sich instruktiv an der Wirklichkeit zu reiben. In "die stunde/des kunde" von Felicia Zeller inszenierte Roger Vontobel mit dem Schauspieler Mathis Julian Schulze eine böse Satire über den Menschen als Konsumwesen. Mehr eine Fußnote zum Zeitgeist zwar, dennoch aber in die Linie des Gesamtkonzeptes gerückt: Das Theaterhaus Jena versucht mit seinem achtköpfigen Ensemble, den Gastregisseuren und einem vornehmlich jungen, studentischen Publikum mit der gegenseitigen Abhängigkeit von Politik und Ästhetik Ernst zu machen. Aus 1,7 Millionen Euro jährlicher Subvention soll Theater werden, das an den Zeichen der Zeit nicht vorbeispielt. Auch deshalb waren für einige Wochen auf dem Theatervorplatz einige Container zu einer "Utopie-Baustelle" arrangiert, wo neben Musik- und Lichtperformances in Diskussionsrunden nach der "Kunst als konkrete Utopie" gefragt wurde. Auch das der Grund für das Ende November veranstaltete zwölftägige Festival "Völker hört die Signale", zu dem Marcel Luxingers "Think Tank" (siehe TdZ 11/04) genauso eingeladen war wie Nora Somainis Inszenierung "Das Begräbnis" (siehe TdZ 01/04) oder "What's wrong" von She She Pop. Für die Zukunft sind Kooperationen etwa mit Meiningen, den Sophiensælen Berlin, der Gessnerallee Zürich geplant (konkrete Utopie?); auf dem Jahresspielplan stehen "Die Hermannsschlacht" wie die Schiller-Fragmente "Die Polizey" (Politik?). In Jena will man es (ästhetisch?) wissen: In welchen Zeiten leben wir eigentlich?




:: Furioser Start für Jenaer Theaterhaus-Truppe ::

ZDF Theaterkanal, 29.10.2004

Mit einem furiosen Marathon ist die neue künstlerische Truppe des Theaterhauses Jena am Donnerstagabend in ihre erste Spielzeit gestartet. Das 14-köpfige Team wartete zum Auftakt gleich mit vier Ur- und einer deutschen Erstaufführung auf, wobei die Stücke künftig auch einzeln zu erleben sind. Dafür heimsten die acht Schauspieler, für die Jena die erste Station in ihrem Berufsleben ist, und die Crew um den künstlerischen L eiter Markus Heinzelmann und Dramaturg Marcel Klett für alle Inszenierungen reichlich Beifall ein. Die Spielzeit steht unter dem Motto "Willkommen im Wilden Westen".

Heinzelmann und Klett selbst zeichneten für das Entree "Kaltblütig" verantwortliche, ein Stück, das sie nach dem gleichnamigen Tatsachenroman von Truman Capote schufen. Das dokumentarische Spiel beruht auf einer wahren Geschichte aus den USA der 1950er Jahre als in einer Kleinstadt eine komplette Familie von zwei Jugendlichen ermordet wurde. Das Stück, in dem alle acht Schauspieler zu erleben sind, zeichnet die Wege der Opfer und der später hingerichteten Täter nach und spürt auch mit Blick auf den 11. September der Frage nach, ob es wirkliche Sicherheit überhaupt geben kann.

Extremer noch als bei "Kaltblütig" war die Ensemblearbeit für "Rucken 04". Gemeinsam mit seinen fünf Akteuren entwickelte Regisseur Dirk Cieslak das Stück, das am Ende des fünfstündigen Theatermarathons stand. Dabei dreht sich alles um die aktuelle Debatte der deutschen Anpassungskrise und der vielfachen Forderung nach einem Ruck, der durch Deutschland gehen müsse. Die Helden gehen dabei der frage nach, ob es nicht besser wäre, das "Projekt Deutschland" zu beenden und weiterzuziehen. Cieslak verbindet in "Rucken 04" Medientexte sowie Äußerungen von Politikern und Managern mit spielerischen Anleihen beim klassischen Western.

Eingebettet in diese beiden Produktionen gab es drei parallel aufgeführte Monologe dreier junger Autoren, inszeniert von drei Regisseuren an drei Spielstätten. "The Choir Director Affair" des Amerikaners Kevin Wilson brachte Heiko Kalmbach auf die Unterbühne. Es ist die Geschichte eines Einzelgängers, der eine Geschichte erzählt und selbst mehr und mehr in sie hineingerät. Den intimen Malsaal wählte Roger Vontobel für seine Produktion "die stunde / des kunde" von Felicia Zeller. Dabei dreht sich alles um König Kunde, der irgendwann angesichts des ungebremsten Konsums militant wird, wenn auch nur in seinem Denken. Als eine heutige Form des absurden Theaters präsentierte sich "Da drängt was" von Ulrike Syha. Die Inszenierung von Alice Elisabeth Julie Buddeberg ging im eigens errichteten Container-Dorf auf dem Theatervorplatz über die Bühne.




:: Einladung ins Chaos ::

Theater heute, 12/2004, Bernd Noack

Container auf dem Vorplatz, rotweiße Absperrbänder, ein abenteuerlicher Gerüst-Turm rund um die Drehbühne: In Jena ist es nach der Wende nun bereits der dritte Neuanfang im Theaterhaus, das mal als "die kreativste Ruine Deutschlands" bezeichnet wurde. Ein neues Team, in dem fast niemand über vierzig ist, wurde erst Anfang dieses Jahres berufen - und räumt nun mit dieser inszenierten Baustelle ein, dass es in der ersten Spielzeit unfertig, bruchstückhaft, künstlerisch gefährlich und mutig unabgesichert zugehen könnte - wie fast alles, was sich am Eröffnungsabend sechs Stunden lang nonstop, als Ur- oder Erstaufführung, Dokumentation, Monolog oder Einakter ("Da drängt was", die stunde / des kunde", "The Choir Director Affär" - von AutorInnen wie Ulrike Syha, Felicia Zeller und Kevin Wilson) unter dem Überbau-Thema "Willkommen im Wilden Westen" versammelte.
So muss der legendäre Clutters-Mordfall aus dem Amerika des Jahres 1959 in "Kaltblütig" (nach Motiven von Truman Capotes gleichnamigem Tatsachenroman) für ein buntes Bild von Zynismus und Illusionslosigkeit des westlichen Alltags herhalten. Fernsehreif und in Echtzeit turnen die Killer im Theater durchs wacklig umlaufende Baugerüst, in dem auch das Publikum sitzt, während Live-Kameras Bilder von der zelebrierten Abschlachtung der ganz normalen, braven Clutter-Familie auf die große Leinwand über der Szene werfen. Eingebettet ist dieser verständnislose und gleichzeitig sensationsgeile Voyeurs-Blick in die Abgründe menschlicher Kurzschlussfähigkeit in ein auf Mords-Gaudi spezialisiertes TV-Quiz-Show-Programm, denn merke: Ist die Welt schon verdammt, dürfen die Medien nicht hinterherhinken. Dem Sieger (den Tätern) flicht die Nachwelt dann halt Galgenstricke statt Kränze.
Regisseur Heinzelmann lässt tanzen und singen, chorisch aufsagen und über angemalte Leichen springen, und das alles in einer Atmosphäre irgendwo zwischen Schulaula und Abenteuerspielplatz. Wenn die Schauspieler dann noch alle paar Minuten völlig unmotiviert zu Sirenenklang auf den Boden knallen müssen, wird zu allem Überfluss sogar der "11.9." zum Orakel-Datum mitten in die fünfziger Jahre verpflanzt.
Dirk Cieslak wiederum, der hier erstmals nicht mit seiner freien Truppe Lubricat, sondern an einem Stadttheater arbeitet, zeigt eine Work-in-progress-Endlosschleife, in der wir allerdings nichts weiter erfahren, als dass es in Deutschland eigentlich erst jetzt 1945 ist. Zudem sei das Ende gekommen, bevor es überhaupt richtig angefangen hat. Das versteht man auch am Schluss der Zustandsbeschreibungsrevue "Rucken 04" keineswegs, denn diese abenteuerliche Mischung aus Leit-, Zins- und frei schwebenden Nebensätzen verzettelte sich in hilfloser Ambition. Ein dringend notwendiger Kausalsatz kam nicht vor.
Fünf Personen suchten da zwischen Improvisation, konstruiertem Zusammenhang und dramatischer Angestrengtheit nach einem Inhalt und hauptsächlich nach dem Sinn deutschen Daseins, vermengten nicht verstandene Theorie mit nicht bewältigter Lebenspraxis und gruben sich selber plappernd und zitierend und rätselnd den Weg aus der Sinnkrise ab. Und es ging kein angemahnter Ruck nirgendwo durch, kaum durchs Agonie-befallene Deutschland und schon gar nicht durchs gequälte Gehirn.
Auch wenn Jena in diesen ersten Tagen noch eine ziemlich wüste Theorie-, Stoff- und Inszenierungs-Baustelle ist, die (extrem) junge, talentierte Schauspieler-Truppe (insbesondere Ursula Renneke und Sophie Hottinger) gibt Anlass zur Hoffnung, dass hier mit der Zeit weiter aufgebaut und auf der Grundlage des guten Theater-Rufs aufgestockt wird. Vielleicht ist es ja nur etwas "wilder Osten", der hier im Moment noch fehlt.


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