Der Junge Peter Pan wehrt sich gegen das Erwachsenwerden und zieht es vor, in einem Land irgendwo im Nirgendwo
zu leben, das noch andere Unterschiede kennt, als die zwischen Junge und Mädchen oder Kindern und Erwachsenen.
Dort, wo die Feen wohnen und Piraten, Meerjungfrauen und wilde Tiere aufeinander treffen, erlebt er unzählige
Abenteuer, die er sofort wieder vergisst. Denn nur an diesem Ort, der Vergangenheit und Zukunft nicht kennt,
sind Kinder vor dem Gefährlichsten geschützt: Erfahrungen. Peter wacht despotisch über seine Bande der verlorenen
Jungs. Die denken immer mal wieder an ihre Mütter zurück und können im Gegensatz zu ihm Spiel und Wahrheit noch
unterscheiden. Diese Welt, die er mit gefletschten Milchzähnen jederzeit vor der Vernunft der Erwachsenen zu
verteidigen bereit ist, verlässt Peter Pan eines Tages, dringt in das Kinderzimmer von Wendy, Michael und John
Darling ein und nimmt die Geschwister mit ins Niemandsland. Abenteuer folgt auf Abenteuer. Die Brüder vergessen,
woher sie kamen, aber Wendy überredet gegen Peters Willen alle Jungs, ihr nach Hause zu folgen. Doch dann geraten
sie in die Fänge des grausamen Käpt'n Hook, des Anführers der Piraten, und das Ehepaar Darling wird wohl ewig
auf die Rückkehr seiner Kinder warten …
Vor genau 100 Jahren wurde die Erzählung Peter and Wendy des kinderlosen schottischen Schriftstellers James M.
Barrie in London veröffentlicht, die als Peter Pan berühmt wurde und bis heute Erwachsene und Kinder auf der
ganzen Welt in ihren Bann zieht.
Presse:
Peter Pan ist ein Rockstar, ein singender kleiner Prinz mit grüner Leder-Uniformjacke, der tanzen kann
wie Michael Jackson und von den Jungs in seiner Band-Bande bewundert wird. Emre Aksizoglu spielt das frisch,
charmant, modern. Sein Peter Pan hat sich selbst zum Superstar gewählt uund fühlt sich wohl in seiner Rolle.
Doch wenn es nicht nach seinem Willen geht, setzt er sich auf den Boden und schreit wie ein Baby. Gut, dass
er eine selbstbewusste Fee an seiner Seite hat, die sich um seine Launen nicht schert. Im gelben Tüllröckchen
hüpft Tinker Bell auf die Bühne, quasselt erst mal in einer Fantasiesprache, kullert mit den Augen, zieht
die Stirn kraus. Sie ist eine vorwitzige, burschikose Prinzessin mit Helmfrisur, und es ist ein großer Spaß,
Xenia Noetzelmann dabei zu beobachten, wie sie wirbelt und springt, wie sie witzelt, schmollt, Grimassen zieht.
Genauso stellt man sich eine liebenswert-garstige Koboldfee vor.
Ein ungeheuerliches Stück bringt das Düsseldorfer Schauspielhaus in diesem Jahr für Kinder auf die große Bühne:
die Geschichte von einem Jungen, der nicht erwachsen werden will, sich lieber mit einer Horde "verlorener Kinder"
im "Neverland" verschanzt. Peter Pan ist kein Rebell, den man zur Vernunft bringen könnte. Er ist ein Aussteiger,
ein Eskapist, der gar nicht erst versucht, sich gegen die Regeln der Erwachsenen aufzulehnen. Er hat sich einfach
anders entschieden und bestens eingerichtet in einer Fantasiewelt, in der alle auf sein Kommando hören. Solchen
Kindern ist schwer beizukommen. Emre Aksizoglu spielt das frisch, charmant, modern. Sein Peter Pan hat sich selbst
zum Superstar gewählt und fühlt sich wohl in seiner Rolle.
Es könnte nun also eine wundervolle Theater-Abenteuerfantasiereise beginnen. Leider bleibt in der Inszenierung von
Markus Heinzelmann manches unausgegoren. Da taucht aus dem Nichts eine Indianerprinzessin auf, steht mal kurz am
Marterpfahl, schon ist sie gerettet. Oder Peter Pan versammelt seine Jungs im Reich der Meerjungfrauen. Der gesamte
imposante Bühnenapparat setzt sich in Bewegung, doch dann sitzen die Fischschwanz-Grazien nur teilnahmslos am
Lagunen-Spielplatzrand, es entwickeln sich keine Geschichten.
Dafür wird ausführlich geprügelt, gefochten, werden die Vögel vom Himmel geschossen, dass es knallt. Schon wahr,
Peter Pan ist ein raues Stück, der kleine Erwachsenenwelt-Flüchtling liebt kriegerische Abenteuer, pubertäres Kräftemessen.
Doch bleiben die Konflikte in der Bühnenfassung unscharf. Da treten nicht Gut gegen Böse, Mut gegen Hinterlist oder Übermut
gegen Feigheit an, sondern wenn die Handlung Schwung braucht, gibt es ein lustiges Haudrauf mit netten Slapstick-Effekten.
Dann wird aber doch halb ernst mit Messern zugestochen, mit Stöcken gedroschen, mit Degen gefochten. Doch ist das
nicht dramatischer Höhepunkt, nicht erzählerische Notwendigkeit, sondern nur schwungvolle Unterhaltung. Action.
Es passiert viel auf der Bühne, aber es wird wenig erzählt.
Zum Glück sind aber starke Darsteller zu erleben, und da gibt es neben Peter Pan und Tinker Bell ja noch den
üblen Gegenspieler Käptn Hook. Der changiert in dieser Inszenierung sehr schön zwischen Tyrann und Jammerlappen.
Wenn er seinen räudigen Piratenhaufen zusammenstaucht und dabei auch mal einen aus der Dummkopf-Truppe opfert,
dann ist er ein fürchterlicher Donnerhaken, dessen wütende "Hahas" beim jungen Publikum großen Anklang und
manches Echo fanden. Doch sobald das Krokodil knurrt, das ihm einst den Arm abbiss, wird er weinerlich, jammert,
flucht und flüchtet von der Bühne. Bernhard Dechant spielt das genüsslich, ein wenig wie im Film "Fluch der Karibik"
gibt er den Johnny Depp mit Wiener Schmäh, bleckt die Zähne, droht mit seinem Hakenarm. Doch wenn er dann in sein
selbstgebautes Autoscooter-Gummiboot mit Ventilator-Antrieb steigt, ist auch den empfindsamsten Zuschauern klar:
Dieser Bösewicht ist zu besiegen.
Es gibt schöne Ausstattungsdetails, so rutschen die verlorenen Kinder etwa in ihr Haus unter der Erde. Und dass
Menschen im Theater fliegen können, wird vor himmlischem Hintergrund bewiesen. Die Kostüme sind eine gelungene
Mischung aus Märchen und Moderne. Und Pan und seine Freunde sind auch noch musikalisch begabt und spielen ab
und an handgemachten Rock. Allein, es fehlt ein Anliegen, das dieses Stück tragen würde. Natürlich ist nichts
schlimmer als Kinderbelehrtheater, in dem eine Geschichte nur Botschaftenüberbringer ist. Doch dieser Peter Pan
geht zu rückstandslos über die Bühne. Die Figuren machen kaum Wandlungen durch. Pans traurige Vorgeschichte hängt
seltsam in der Luft. Dieses Stück zur Vorweihnachtszeit ist gute Unterhaltung, zu denken gibt es nicht.
(RP, 22.11.11)
Dieses Traumland ist vor allem eines der Effekte: Im Flugwerk schweben die Eltern-Flüchtlinge herein,
vor gewaltigen Waldprospekten dreht sich die Bühne, von unten fährt als Unterstand (Bühne: Jan Müller)
das enge Domizil der verlorenen Kinder herauf. Dort herrschen WG-typische Zustände: Alle schlummern auf
Matratzen, es wird aus einem Topf gegessen, Boss Peter Pan schlägt sich den Bauch voll, während die
anderen schuften. Wendy übernimmt die Mutter-Rolle. Nicht sehr viel anders geht es bei Peter Pans
Widersacher Käpt’n Hook zu. Ganz in elegantes Schwarz gekleidet und mit blitzender Hakenhand lässt
Bernhard Dechant seine Stimme bedrohlich aus öligem Genäsel ins Brüllen umkippen. Ein verschlagener
Bösewicht, wäre da nicht die Angst vor dem Krokodil, das ihm die Hand abgefressen hat. Und auch
seine Schlägertruppe, die aussieht wie ein Haufen Robespierres, hätte nichts gegen mütterlichen Beistand.
Da ist die Fee Tinker Bell (Xenia Noetzelmann), der heimliche Star des Abends, die sich mit kleinen
Bösartigkeiten gegen Nebenbuhlerin Wendy wehrt und die Herzen der jungen Zuschauer erobert. Die Regie
setzt ganz auf Abenteuer, szenische Einfälle und knallige Typen.
(WZ, 22.11.11)
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