:: UNENDLICHER SPASS ::
(INFINITE JEST)
von David Foster Wallace
Deutsch von Ulrich Blumenbach
Für die Bühne bearbeitet von Christine Eder, Meike Sasse und Anna Laner
Österreichische Erstaufführung
Eine Produktion der GARAGE X
Premiere: 15.01.2014
Mit: Julia Jelinek, Tim Breyvogel, Karim Chérif, Bernhard Dechant und Thomas Feichtinger
Bühne: Monika Rovan
Dramaturgie: Anna Laner
1545 Seiten und 1,5 Kilogramm literarische und theatrale Überforderung, die den Wahnsinn der
Gegenwart zwischen ewigem Wachstum und stets drohendem Zusammenbruch befragt – das ist
"Unendlicher Spaß" von David Foster Wallace. Der Roman thematisiert unter vielem
anderen Drogenabhängigkeit, Hedonismus, Depressionen, Kindesmissbrauch, Materialismus, die
Unterhaltungsindustrie, den Unabhängigkeitskampf von Québec und Tennis und ist ein
Gesellschaftsroman, der das gleichermaßen komische wie erschreckende Portrait einer von
Ablenkungen, Leistungsträumen und Versagensneurosen geradezu rauschhaft verwundeten Zivilisation
abbildet. Bereits 1996 in den USA unter dem Titel "Infinite Jest" erschienen, kam das Buch erst
2009, ein Jahr nach dem Selbstmord des Autors, auf deutsch heraus – die Übersetzung allein nahm
sechs Jahre in Anspruch.
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Fotos: Yasmina Haddad
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nachtkritik.de
Unendlicher Spaß – Christine Eders österreichische Erstaufführung des Romans von David Foster
Wallace an der Wiener Garage X
Ereignet euch!
von Martin Pesl, Wien, 15. Januar 2014.
Er ist der jüngste Klassiker im Weltliteraturkanon. Beweis: Sogar die
jahrhundertealte Vampirlady im Jarmusch-Film "Only Lovers Left Alive" packt "Unendlicher Spaß"
in ihren erlesenen Lektürekoffer. Obwohl es den Mitte der Neunziger fertiggestellten Romanwälzer
auf Deutsch erst seit vier Jahren zu lesen gibt, haben sich die Theater schon aufs
unterschiedlichste an diesem Erbstück des postpostmodernen Genies David Foster Wallace,
das sich 2008 das Leben nahm, abgearbeitet.
Großer Roman, kleine Spielstätte
In Österreich gönnt sich den "Spaß" als erste die kleine Garage X. Sie fasst rund 100 Zuschauer,
und auch der Platz auf der Bühne erzwingt einen Minimalismus, der angesichts der zu bewältigenden
Stoffmasse fast wie Hohn wirkt. Da erzählt Wallace in sehr, sehr vielen sehr, sehr klugen und
pointierten Sätzen von Amerikas Freizeitgesellschaft, von Drogensucht und Depression, extremer
Schönheit und extremer Hässlichkeit. Und diese 1545 Seiten sollen nun reduziert werden auf fünf
Schauspieler und ein paar Tennisbälle, die den Schriftzug "WELCOME" formen?
Tennis war der Sport des David Foster Wallace, Tennis bietet seinem Plot den Rahmen. Und mit
sportlichem Ehrgeiz stellt sich Regisseurin Christine Eder den unfairen Größenverhältnissen.
Die Fassung, die sie mit Anna Laner und Meike Sasse erstellt hat, lässt nichts Wichtiges von
der komplexen, in nicht so ferner Zukunft angesiedelten Handlung aus. Auch wer das Buch nicht
kennt, wird im Wesentlichen seinen Weg über die von der filmaffinen Familie Incandenza geführte
Bostoner Tennisakademie durch das nahegelegene Suchtzentrum zu den frankokanadischen Terroristen
finden, die sich ihre Unabhängigkeit von Nordamerika mithilfe der Masterkopie eines tödlich
unterhaltsamen Films erkämpfen wollen.
Grimassen und Quirligkeiten
Die "vollkommene Unterhaltung", die zahlreiche Menschen zur Verwahrlosung getrieben haben soll,
scheint auch Christine Eders Inszenierung anzustreben. Ihr ordnet sie jede Chance auf inhaltliche
oder formale Profilierung unter. Das Regiekonzept erschöpft sich in den Basics der Romanadaption:
Einer erzählt, die anderen bebildern, wahlweise durch Nachahmung, Aufmalen, Schatten- oder Puppenspiele.
Der Eloquenz von Wallace und seinem Übersetzer Ulrich Blumenbach steht auf der Bildebene eine
Unmenge an Grimassen und Travestien, Zuckungen und Quirligkeiten gegenüber, dem sprachlichen
Witz unendlicher Spaß. Beides in rasendem Tempo, schließlich hat man keine Zeit zu verlieren,
es gilt, viel Romanhandlung durchzubringen.
Das verlangt dem Ensemble Kondition ab, dafür darf es einen Großteil des Textes von strategisch
geschickt positionierten Zetteln und einem Teleprompter ablesen. Zur Unterscheidung der zig
Figuren behilft es sich mit möglichst unaufwändigen Kostümwechseln und Requisiten und plündert
dabei nach und nach die Tennisbälle aus dem Grußwort, etwa um einem Undercoveragenten Brüste
für seine Verkleidung als Journalistin zu verschaffen.
Gelegen kommt dabei auch die vom kindlich naiven Mario Incandenza beklagte "Vorschrift, dass
echte Sachen nur erwähnt werden dürfen, wenn man gleichzeitig die Augen verdreht". Denn
umfassende ironische Distanzierung verhindert, dass man in jede Szene allzu intensiv eindringen
muss – und sie bringt Lacher. Entsprechend selbstironisch wird nach zweieinhalb Stunden ein
Schild hochgehalten: "Bedenken Sie, Sie befinden sich in Ihrer Freizeit." Wäre nicht nötig gewesen,
ist doch eh lustig.
In der Spitzensportlerschmiede
Zum Glück sind die echten Sachen zuweilen stark genug, sich durchzusetzen, dank spielerischer
Finesse: Karim Chérif findet die richtige Präsenz für Teenager Hal Incandenza, der hochbegabt ist,
aber nichts empfindet, und holt andererseits den ganzen verführerischen Stolz des beinlosen
québecischen Separatisten aus dessen französischem Akzent heraus. Schlichtweg virtuos nutzt
Bernhard Dechant den unbeholfenen Kunstsprech in der Motivationsrede des Tennistrainers aus
Deutschland ("Ereignet euch!"), um das verbissene Streben seiner Spitzensportlerschmiede ad
absurdum zu führen. Solche Momente, in denen die Unmöglichkeit, Fühlen und Denken zu vereinen,
gnadenlos offenliegt, sind Wallace pur.
Ebenso wie Wallace dem Leser einen befriedigenden Abschluss verwehrt (in diesem Sinne konsequent
Un-Endlichkeit verfolgend), wird einem auch an diesem Abend keine Klimax geschenkt. Ein im Chor
gesprochener Aphorismus über Tennis und das Leben schraubt abrupt einen Verschluss auf 200 Minuten
des Zugetextetwerdens auf hohem Niveau. Das Publikum bejubelt eine in erster Linie sportliche
Leistung (auch die eigene) und kann dank "Eye of the Tiger"-Untermalung gar nicht anders als zu
fühlen, die Heimmannschaft habe heute Abend gewonnen.
diepresse.com
"Unendlicher Spaß", als Farce in Szene gesetzt
16.01.2014 | 18:29 | Von Norbert Mayer (Die Presse)
Das Buch hat im Englischen an die 1100 Seiten und gilt seit seinem Erscheinen 1996 als Meisterwerk
später Postmoderne. „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace, der 2008 mit 46 Jahren nach
schwerer Depression seinem Leben ein Ende gesetzt hat, handelt von kaputten Typen in den vom
Konsum besessenen USA. In Boston treffen Drogensüchtige, auf Entzug im Ennet House, und Talente
der Enfield Tennis Academy aufeinander. Als Metapher des Romans dient die Suche nach dem
Mastertape eines Films: „Infinite Jest“ kann Zuseher in süchtig machendes, tödliches Entzücken versetzen.
Dieser Trip ist als Roman mit seiner barocken Anmutung eine schwierige Lektüre (die deutsche
Übersetzung verfasste Ulrich Blumenbach). Die Inszenierung von Christine Eder aber strapaziert
die Ausdauer von fünf zum Entzücken engagierten Darstellern total. In fast dreieinhalb Stunden
(ohne Pause!) vollführen sie bei der Erstaufführung am Mittwoch in der Wiener Garage X in
mehrfachen Rollen einen tollen sprachlichen Sprint durch diese Unendlichkeit von Sucht, Missbrauch,
Gewalt und Einsamkeit.
Lustvoll zelebrierte Travestien
Ein Wechselbad: Die Dramatisierung ist halbherzig, weil sie zu viel will. Vielleicht hätte
die karge Ausstattung von Monika Rovan Vorbild sein sollen: fünf Sessel, ein Maschendrahtzaun,
in dem Tennisbälle stecken, ein Rollstuhl. Dazu Plunder, Perücken, Anarcho-Masken (für Separatisten).
Ein Beamer. Mehr bedarf's nicht fürs totale Chaos. Mehr Mut zur Lücke hätte mehr Spaß am Absurden bedeutet.
Manches wirkt noch wie eine szenische Lesung, in der erst Sinn erspürt werden muss, aber wenn
Tim Breyvogel, Bernhard Dechant oder Karim Chérif ihr komödiantisches Können aufblitzen lassen,
wenn Julia Jelinek oder Thomas Feichtinger richtig in Fahrt kommen, der eine das referiert,
was der andere zugleich vorzeigt, wenn sie alle lustvoll Travestien zelebrieren oder Sketches
spielen, die ganz spontan wirken, dann ergibt das Fasching auf sehr hohem Niveau.
An scheinbar mühelosen Szenen, die oft in einem schwindelerregenden Stakkato gipfeln, erkennt
man, wie intensiv sich dieses Team auf einen aberwitzigen und komplexen Text eingelassen hat.
Allein dafür hat es sich den enthusiastischen Applaus bei der Premiere verdient.
diepresse.com
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